Interview: Dr. Jahnke von der Uni Kassel stellt die Ergebnisse vor
Dieses Jahr wurde bei VollCorner geforscht und vielleicht waren auch Sie Teil dieses ganz besonderen Experiments! Denn ein Team von der Uni Kassel/Witzenhausen hat im Frühjahr in unseren Märkten Schwanthalerhöhe, Gauting und Kazmairstr. seine Versuchsstationen aufgebaut – und zwar im Gemüseregal. Die Motivation: Langfristig mehr Lebensmittel zu retten!
Keine Frage - das haben wir, gemeinsam mit unserem regionalen Partner TAGWERK, gerne unterstützt.
Wie das Experiment abgelaufen ist und was dabei heraus kam, erzählt uns Dr. Benedikt Jahnke, der das Forschungsprojekt „Marketing von Suboptimal Food im Öko-Handel“ leitet.
1) Woran habt ihr in unseren VollCorner Märkten geforscht und wie kam es dazu?
In unserem Projekt untersuchen wir, welche Hemmnisse KonsumentInnen vom Kauf von Obst und Gemüse mit nicht perfektem Aussehen (Suboptimal Food) abhalten und ob/wie sich diese durch Marketingmaßnahmen abbauen lassen.
Für möglichst praxisnahe Ergebnisse war es unser Wunsch, einen Verkaufstest unter realen Bedingungen im Biofachhandel durchzuführen. VollCorner engagiert sich ohnehin schon im Rahmen des Dialogforums Groß- und Einzelhandel der Bundesregierung für eine Reduktion von Lebensmittelverschwendung und war von dieser Idee sofort begeistert. Gemeinsam haben wir diesen Test in die Tat umgesetzt.
Von Februar bis April waren Sie, liebe KundInnen, in drei VollCorner-Märkten Teil dieses Experiments – hoffentlich ohne es überhaupt zu bemerken. Nur wer ganz aufmerksam durch die Gemüseabteilung gegangen ist, hat vielleicht wahrgenommen, dass in dieser Zeit häufig zwei Kisten mit Karotten angeboten wurden und phasenweise Hinweisschilder Sie auf die "weniger schönen" Karotten aufmerksam gemacht haben.
2) Wie kamt ihr auf dieses Experiment?
Ein Problem vieler Studien zum Einkaufsverhalten besteht darin, dass sich Befragungen nicht ohne Weiteres auf das tatsächliche Alltagshandeln beim Einkaufen übertragen lassen.
Um möglichst aussagekräftige Erkenntnisse zur Kaufbereitschaft von suboptimalen Karotten zu erzielen, haben wir unser Experiment im Gemüseregal versteckt.
Während des Experiments haben wir zwei verschiedene Kommunikationsrichtungen getestet. In Phase 1 haben wir auf eine humorvolle Art und Weise mit einer vermenschlichten Karotte auf die suboptimalen Karotten aufmerksam gemacht. Im Kontrast dazu wurden in Phase 2 sachliche Informationen zur Verschwendung von Karotten in Verbindung mit einer realistischen Darstellung einer suboptimalen Karotten gegeben. Vor, zwischen und im Anschluss an diese Testphasen wurden Karotten ohne weitere Hinweise aber weiterhin zu einem um 30% reduzierten Preis angeboten. Diese sogenannten Kontrollphasen dienten dazu, eine Baseline zur Ermittlung von Unterschieden festzulegen und den Einfluss der Hinweise zu neutralisieren.
3) Wie konntet ihr messen zu welchen Karotten unsere KundInnen greifen?
Die zwei Karottenkisten standen auf einer speziell für diese Verkaufstests entwickelten Wiegevorrichtung. Mittels zwei elektronischer Waagen wurde jede Gewichtsveränderung der einzelnen Kisten sekundengenau erfasst und auf einen Minicomputer gespeichert. Über WLAN konnten wir außerdem jederzeit auf den Minicomputer zugreifen, sodass wir unser Experiment aus der Ferne überwachen und bei Problemen sofort eingreifen konnten.
Durch diese Art der Messung waren wir unabhängig von der korrekten Zuordnung der Karotten an der Kasse, wo es für die KassiererInnen manchmal gar nicht so leicht war, die „optimalen“ von den „suboptimalen“ Karotten zu unterscheiden.
4) Und jetzt natürlich das Spannendste: Was kam raus?
Wir haben gemerkt: Tatsächlich ist es schwieriger die KonsumentInnen zum Kauf von suboptimalem Gemüse zu motivieren als erhofft. In den mehr als 10 Wochen, in denen der Verkaufstest lief, entfielen nur rund 15% der Kaufentscheidungen auf die Karotten mit den Schönheitsfehlern. D.h. in weniger als jedem sechsten Einkauf wurde zu den suboptimalen Karotten gegriffen.
Fazit also: Großer Aufwand, aber alles umsonst? Nein, ganz und gar nicht. Wir haben eine innovative Messtechnik unter realen Marktbedingungen testen können. Wir haben erfahren, wie aufwendig und herausfordernd eine testweise Listung von suboptimalen Karotten in die Tat umzusetzen ist.
Und wir haben feststellen können, dass Kommunikationsmaßnahmen und ein deutlich reduzierter Preis nicht automatisch und unmittelbar das Einkaufsverhalten der KundInnen verändern, sondern, dass hier doch mehr dazu gehört: Ein langfristiges Umdenken, bei uns als KonsumentInnen genauso wie im Handel.
5) Zum Abschluss: Was können wir für unser Einkaufsverhalten davon lernen?
Aus den Erfahrungen aus dem Verkaufstest wurde eindrücklich deutlich, wie sehr wir uns vom Aussehen beim Einkauf leiten lassen. Kommunikationsbotschaften werden oft übersehen, selbst Preisreduktionen schaffen nicht unbedingt, uns umzustimmen und statt routiniert zur makellosen Karotte zur Karotte mit Schönheitsfehlern zu greifen. Uns dies immer wieder ins Bewusstsein zu rufen und unsere eigenen Gewohnheiten zu hinterfragen, wäre ein wichtiger Schritt.
Danke für die gute Zusammenarbeit in diesem sehr spannenden Projekt und das Interview!
Auch wenn diese Ergebnisse zeigen, dass es oftmals eine Herausforderung ist, Suboptimal Food erfolgreich zu vermarkten, für uns von VollCorner steht fest: Wir werden uns weiterhin gegen Lebensmittelverschwendung einsetzen!